In diesem Blog wurden in den letzten beiden Jahre zahlreiche Artikel zu den Ursachen und Auswirkungen der ursprünglichen Bankenkrise, der Griechenland und Eurokrise, sowie der globalen Finanzkrise verfasst.
Auch wurden die Ursachen zu den hausgemachten Problemen in Griechenland wiederholt dargelegt (Die Beseitigung der wahren Gründe der Krise in Griechenland – Chance für einen Neuanfang, Blogbeitrag vom 13.02.2010). Deshalb soll an dieser Stelle nur nochmals kurz erwähnt werden, dass die tiefgreifende Strukturkrise in Griechenland eines radikalen Kurswechsels und umfassender Strukturreformen bedarf. Hierzu zählen selbstverständlich die Privatisierung von staatlichen Unternehmen, Rationalisierung bzw. Schließung von unrentablen oder überflüssigen staatlichen Institutionen, Verkleinerung des Staatsapparates durch Freisetzung von Beamten, Anpassung der Löhne und Gehälter an die tatsächliche Produktivität des Landes und seinem Wachstum, Modernisierung der Verwaltung, Abbau der Staatsschulden und Erhöhung der Produktivität sind nur einige der wichtigsten Maßnahmen, welche einer unmittelbaren Umsetzung bedürfen und auch zum Teil schon umgesetzt wurde. (Siehe hierzu Blogbeitrag vom 01.07.2011 Neue Sparmaßnahmen in Griechenland und Blogbeitrag vom 12.09.2011 Griechenland-Krise als Neuanfang begreifen).
Dies ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite ist immer wieder zu betonen, dass die Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise in Griechenland nicht allein mit Spar- und Rationalisierungsmaßnahmen zu erzielen ist. Massenentlassungen, Lohn- und Rentenkürzungen, erheblichen Steuererhöhungen und der damit einhergehende Umsatzeinbruch des Einzelhandels führen letztendlich zu weiteren Entlassungen, Minderung der Steuereinnahmen, Umsatzeinbrüchen und Wirtschaftsschwund. Die Wirtschaft des Landes befindet sich deshalb in einer Abwärtsspirale und mittlerweile in einer tiefen Depression. Dies hat in Griechenland den steten Rückgang der Steuereinnahmen zur Folge, welche nach all diesen Maßnahmen nun noch niedriger sind, als vor ihrer Ergreifung. (Siehe hierzu auch Blogbeitrag vom 31.05.2011 Spart sich Griechenland in eine Depression?). Als zweites Standbein zur Sanierung der Finanzen des Landes sind deshalb neben dem Sparprogramm auch Investitionen zur Ankurbelung der Wirtschaft und für die Schaffung von Wirtschaftswachstum erforderlich. Auch hierzu wurde an dieser Stelle wiederholt ausgeführt. (Blogbeitrag vom 10.02.2012 Sparmaßnahmen und Finanzhilfe für Griechenland sind ohne Investitionen sinnlos)
Welche Lehren kann man also aus der Geschichte ziehen und daraus Erkenntnisse für die Bewältigung der Krise in Griechenland gewinnen? Die deutsche Geschichte bietet hierzu einige Ansatzpunkte. So ergeben sich z. B. Parallelen bei der Betrachtung der Zustände in der Weimarer Republik.
Parallelen zur Weimarer Republik
In den Krisenjahren von 1919–1923 hatte die Republik mit den unmittelbaren Kriegsfolgen infolge der erheblichen Reparationszahlungen nach dem Versailler Vertrag zu kämpfen. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 und der aufkommende Nationalsozialismus führten sodann zum Untergang der Weimarer Republik. So wie der Friedensvertrag von Versailles und die damit verbundenen Reparationszahlungen damals den Reparationsgegnern Argumente für ihre Agitation lieferten, wird heute das rigide und einseitige Sparprogramm von den Griechen als „aufgezwungen“ und damit als demütigend empfunden. Dies beschert den politischen Extremen in Griechenland einen starken Zulauf. Ein Zitat aus Wikipedia zur Weimarer Republik zeigt weitere deutliche Parallelen zur Situation in Griechenland auf:
„Die Weltwirtschaftskrise von 1929 traf Deutschland härter als andere europäische Staaten; ihre Folgen führten zu einer Radikalisierung der Politik. Nach dem Schwarzen Donnerstag, dem Zusammenbruch der New Yorker Börse am 24. Oktober 1929, erhielt Deutschland kaum noch Auslandskredite. Daraufhin brach die deutsche Wirtschaft ein, die ohnehin schon unter geringer internationaler Wettbewerbsfähigkeit und einem dadurch hervorgerufenen hohen Handelsbilanzdefizit und den Reparationen zu leiden hatte. Die Krise in der Exportwirtschaft griff schnell auf die Binnenkonjunktur über. Durch die einsetzende Massenarbeitslosigkeit verschlechterte sich die soziale und wirtschaftliche Lage dramatisch. Am Ende der Weimarer Republik im Jahr 1933 zählte man insgesamt sechs Millionen offizielle Arbeitslose, dies entsprach einer Quote von etwas mehr als 30 %. Viele lebten am Existenzminimum. Dies ging einher mit einer Dauerregierungskrise ab Juni 1932. Parlament, Regierung und Reichspräsident arbeiteten mehr gegen- als miteinander. Es kam zu Neuwahlen und Kabinettskrisen in rascher Folge, bei denen die radikalen Parteien, allen voran die NSDAP, immer mehr Zulauf erhielten….“
Diese Tatsachen aufgreifend und mit der aktuellen Situation in Griechenland vergleichend, ist folgendes festzustellen:
- Auch Griechenland wurde von der Finanzkrise und Bankenkrise aufgrund seiner bestehenden nationalen Besonderheiten und Probleme härter als andere europäische Staaten getroffen.
- Die Sparmaßnahmen scheint nur auch in Griechenland zu einer Radikalisierung der Politik zu führen.
- Aufgrund der bestehenden Situation sind ebenfalls kaum noch Auslandskredite bzw. eine Refinanzierung durch Platzierung von Staatsanleihen möglich.
- Die griechische Wirtschaft befindet sich in einer Depression und und leidet erheblich unter dem Mangel von Investitionen.
- Die griechische internationale Wettbewerbsfähigkeit ist gering und das griechische Handelsbilanzdefizit hoch, wodurch auch die Binnenkonjunktur leidet.
- Es besteht Massenarbeitslosigkeit, viele leben mittlerweile am Existenzminimum.
- Es finden Neuwahlen statt, in welchen die radikalen Parteien Zulauf erhalten.
Weshalb also zeigt man sich in Europa überrascht über die Entwicklungen in Griechenland, der Abwendung der griechischen Wählerschaft von den großen Parteien im Lande und dem starken Zulauf der extremen rechten und linken Parteien? Frei nach George Santayana sollte das Sprichwort "Wer sich der Geschichte nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen" beherzigt und die entsprechenden Lehren aus der geschichtlichen Erfahrung gezogen werden.
Parallelen zur Zeit nach dem 2. Weltkrieg
Aber auch nach dem 2. Weltkrieg hieß das Motto in Deutschland, zumindest in den Westzonen, „Wiederaufbau“ und nicht nur Sparmaßnahmen. In der Bizone entschieden sich die Amerikaner gemeinsam mit den Briten zu einem umfassenden Wiederaufbau Europas und Deutschlands. Der sog. „Marshall-Plan“ war damit geboren.
„Der Marshallplan, offiziell European Recovery Program (kurz ERP) genannt, war ein großes Wirtschaftswiederaufbauprogramm der USA, das nach dem Zweiten Weltkrieg dem an den Folgen des Krieges leidenden Westeuropa zu Gute kam. Es bestand aus Krediten, Rohstoffen, Lebensmitteln und Waren. Der Marshallplan gilt auch als der erste Schritt zur europäischen Integration.“ (Quelle: Wikipedia). Auch in Griechenland ist ein Investitionsprogramm zur Ankurbelung der Wirtschaft und zur Schaffung von Wirtschaftswachstum erforderlich, damit das Land wieder auf die Beine kommt. (Siehe hierzu Beitrag Sparmaßnahmen und Finanzhilfe für Griechenland sind ohne Investitionen sinnlos).
Parallelen zum „Aufbau-Ost“
Nach der Wende 1989/90 und Wiedervereinigung sah sich die Bundesrepublik Deutschland mit einer Reihe von Problemen der am Boden liegenden Wirtschaft der DDR konfrontiert.
- Die Arbeitsproduktivität der DDR lag im Jahr 1988 bei nur etwa 20 bis 25 Prozent des Westens. Der Arbeitsaufwand für die Herstellung vergleichbarer Produkte war in der DDR erheblich höher als im Westen. Das konnten auch längere Arbeitszeiten nicht kompensieren.
- Wegen immer älterer und reparaturbedürftiger Industrieausrüstungen ging die Wirtschaftskraft der DDR stetig zurück.
- Die Investitionen in der Industrie reichten bei weitem nicht aus, um den hohen Instandhaltungs- und Reparaturbedarf zu decken.
- Die niedrige Arbeitsproduktivität und die verschlissenen Produktionsanlagen hatten Folgen für die Produktqualität. Die Produkte waren oftmals nicht wettbewerbsfähig. Die Importe lagen so weit über den Exporten.
- Zudem verbrauchten Staat und Bevölkerung über Jahre mehr Sachgüter und Dienstleistungen, als im eigenen Land hergestellt wurden. Dies finanzierte die DDR hauptsächlich durch zusätzliche Kredite in Westdeutschland.
- Die DDR konnte im Jahr 1989 nur noch 35 Prozent der Westimporte, Kredittilgungen und Zinsen mit Devisenerlösen aus Exporten decken.
- Kritik am jahrelang praktizierten Zuwachs bei Lohn- und Sozialleistungen trotz unzureichender Steigerung der Arbeitsproduktivität
All diese Argumente treffen mehr oder weniger auch auf die heutige Situation in Griechenland zu. Im Gegensatz zu der für Griechenland verabreichten „Medizin“ zur Genesung der Wirtschaft des Extremsparens wurde aber für den „Aufbau-Ost“ ein völlig anderes Konzept gewählt. „Von der Bundesrepublik flossen hohe Transferleistungen zur Finanzierung des „Aufbau-Ost“ nach Ostdeutschland. Dabei beliefen sich „die reinen Aufbauhilfen aus spezifischen Programmen zur Verbesserung der Infrastruktur und zur Förderung von Unternehmen im Bereich der neuen Länder, der Aufbau Ost, summieren sich auf etwa 250 (bis 2004) bis 300 Milliarden Euro.“ Die Gesamtkosten der Deutschen Einheit beziffern sich nach ungenauen Schätzungen bis 2009 einschließlich der Sozialtransfers sogar auf 1,3 und 1,6 Billionen Euro, jährlich um etwa 100 Milliarden Euro steigend. Dabei setzen sich die Kosten der Deutschen Einheit aus Transferleistungen für die neuen Bundesländer und einigungsbedingten Sonderausgaben zusammen. Als Starthilfe für den Verwaltungsaufbau wurden Länderpartnerschaften mit Westländern eingerichtet.“ (Quelle: Wikipedia).
Man war sich also auch zu diesem historischen Zeitpunkt darüber einig, dass der Wiederaufbau nur über Investitionen und Ankurbelung der Wirtschaft, Transferleistungen und Neuaufbau der Verwaltung erzielt werden konnte. Die Situation zwischen der Bundesrepublik und Ostdeutschland ist dabei durchaus vergleichbar mit der Situation zwischen den verschiedenen Euroländern. Hier besteht Ost-West aber ein Nord-Südgefälle. Darüber hinaus aber kommt selbst die Bundesrepublik als homogenes Land nicht ohne Länderfinanzausgleich zwischen den einzelnen Bundesländern aus, um ähnliche Wirtschafts- und Lebensbedingungen in allen Bundesländern zu gewährleisten. Warum sollte also der weitaus größere und von unterschiedlichen nationalen Strukturen geprägte Verbund der Eurozone bei einheitlicher Währung ohne derartige Instrumente auskommen können?
Diese historischen Ereignisse und Fakten hätten bei der Konzipierung des Hilfsprogramms für Griechenland berücksichtigt und in das Maßnahmenpaket integriert werden müssen. Hierin liegt m. E. auch der entscheidende Fehler bei der Krisenbewältigung. Aus obiger Darstellung wird nämlich deutlich, dass zu keinem der genannten historischen Ereignisse jemals allein nur Sparmaßnahmen als das alleinige Rezept zur Überwindung einer Finanz- und Wirtschaftskrise angesehen wurde. Dies wird auch vom Präsidenten des EU-Parlaments, Herrn Martin Schulz so gesehen, welcher in seiner ersten Ansprache vor den EU- Staats und Regierungschefs davor warnte, dass Sparmaßnahmen ohne Investitionen in Wachstum und Arbeitsplätze Europas Probleme nicht lösen könnten.
In Verbindung mit Investitionen zur Generierung von Wachstum und Neuaufbau der Verwaltungsstrukturen könnten Sparmaßnahmen hingegen auch in Griechenland das Erfolgsrezept darstellen.